Der Allgemeininternist – hohe Attraktivität oder ein Auslaufmodell?

UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Herr Doz. Traindl, in der Inneren Medizin ist ein starker Trend in Richtung Spezialisierung zu beobachten. Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?

Univ.-Doz. Dr. Otto Traindl: Die immer stärkere Spezialisierung – die nicht nur in der Inneren Medizin, sondern in der Medizin allgemein zu beobachten ist – schreitet mit zunehmend höherem Tempo voran. Diese Entwicklung ist nicht mehr zu stoppen, und sie ist auch nicht schlecht: Gerade die Hochspezialisierung bringt intensive Forschung mit sich. Die in den speziellen Teilgebieten der Medizin erzielten Fortschritte gehen – mit einer gewissen Latenzzeit – in Form neuer Methoden und Therapien in die Klinik ein. Man denke z. B. an moderne onkologische Therapieverfahren. Die Spezialisierung kann definitiv als Treiber für den medizinischen Fortschritt gesehen werden.

Braucht es den Allgemeininternisten noch?

Auf jeden Fall. Ich denke sogar, der Bedarf ist heute größer denn je zuvor. Je stärker die Spezialisierung, d. h. je differenzierter die einzelnen medizinischen Teilgebiete, desto dringender braucht es jemanden, der den Überblick behält – den Allgemeininternisten.

Wo liegen die Stärken des Allgemeininternisten, wo wird er besonders gebraucht?

Als Generalist überblickt er – im Unterschied zum Spezialisten – das gesamte Fach der Inneren Medizin in der vollen Breite. Das beginnt bei der Ausbildung: Nach einer gemeinsamen 27-monatigen Sonderfach-Grundausbildung für alle internistischen Sonderfächer gibt es für jene, die den Weg zum „Facharzt für Innere Medizin“ einschlagen, eine weiterführende allgemeininternistische Weiterbildung über 3 Jahre, im Zuge derer in verschiedenen Modulen auch vertieftes Fachwissen anderer Sonderfächer der Inneren Medizin erworben werden kann. Der angehende „Facharzt für Innere Medizin“ ist also breit aufgestellt. Das erlaubt es ihm auch, den Patienten als gesamtmedizinischen Fall zu erfassen und zu behandeln. Oft hat man es mit polymorbiden Patienten zu tun, die eine koronare Herzkrankheit, COPD, ein Stoffwechselerkrankung und mehr haben. Da werden dann gleich verschiedene Guidelines schlagend und dem Patienten eine ganze Reihe von Medikamenten verschrieben. Hier kommt dem Allgemeininternisten eine wichtige Rolle als „Patientenmanager“, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, zu. Er betreut die Patienten oft über viele Jahre, was eine gute Vertrauensbasis schafft – die Voraussetzung für eine gelungene Kommunikation und Behandlung. Idealerweise ist der Allgemeininternist gut vernetzt und weiß, wie weit er den Patienten selbst behandeln kann, wann er zum Spezialisten überweisen muss und wie die Betreuung danach weiterzuführen ist. Mit dieser erweiterten „Gatekeeper“-Funktion trägt er maßgeblich zu einer optimalen Patientenversorgung bei. Das Einsatzgebiet für Allgemeininternisten ist groß. Es umfasst einerseits die allgemeininternistische Ordination und die Gemeinschaftspraxen, andererseits aber auch den Spitalsbereich, wo es abseits der Unikliniken oft allgemeininternistische Abteilungen mit geringerem Spezialisierungsgrad – eventuell mit der einen oder anderen Spezialambulanz – gibt. Hier ist der Allgemeininternist mit entsprechender Modulausbildung sehr gut aufgehoben. Als Allrounder ist er weiters im Bereich des Konsiliarwesens, in Notfallaufnahmen, Rehabilitationszentren oder auch im Verwaltungsbereich gefragt. Nicht zuletzt braucht es erfahrende Internisten, um jungen Internisten eine gute Ausbildung zukommen zu lassen.

Wie kommt das Sonderfach „Innere Medizin“ bei Jungmedizinern an?

Wir haben derzeit – unter der neuen Ausbildungsordnung – mehr junge Kollegen in Ausbildung zu einem der Sonderfächer der Inneren Medizin als früher. Versucht man das weiter aufzuschlüsseln, so zeigen vorläufige Daten, dass ca. 1/3 das Sonderfach „Innere Medizin“ wählen, während sich 2/3 in einem der anderen 10 internistischen Sonderfächer spezialisieren. Das sind durchaus erfreuliche Zahlen. Damit das so bleibt, müssen wir die Attraktivität der Ausbildung hochhalten. Dazu gehören eine gute fachliche Ausbildung, vernünftige Arbeitszeiten und ausreichende personelle Ressourcen. Die personelle Unterbesetzung in vielen Krankenhäusern führt – auch unabhängig von COVID-19 – oft zu einer notorischen Überbelastung, worunter nicht zuletzt die Ausbildung der jungen Kollegen leidet. Bereits im Studium möchten wir das Berufsfeld des Allgemeininternisten – Stichwort: breites Fachspektrum, breites berufliches Einsatzgebiet, Möglichkeit der vertieften Ausbildung in Modulen, Polymorbidität, Patientenmanager, Gatekeeper – stärker herausarbeiten und sichtbar machen. Jene, die den Weg zum Facharzt für Innere Medizin einschlagen wollen, sollten bereits ihre Ausbildung im Rahmen des KPJ idealerweise an einer allgemeininternistischen Abteilung absolvieren. Wichtig ist weiters, dass wir das Image des Allgemeininternisten pflegen. Weniger spezialisiert heißt nicht, dass jemand weniger „gescheit“ ist oder weniger Wissen hat. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Spezialisten wie Kardiologen, Nephrologen oder Onkologen und den Allgemeininternisten sollte auf Augenhöhe stattfinden, denn der Spezialist braucht den Generalisten genauso wie umgekehrt. Die Wertschätzung sollte sich zudem in einer angemessenen Honorierung widerspiegeln. Auf akademischem Gebiet bietet sich für (angehende) Fachärzte für Innere Medizin die Versorgungsforschung an, mit spannenden Themen wie z. B Patientenmanagement, Patientengesprächsführung oder Therapieadhärenz.

Ein Blick in die Zukunft: Wie, glauben Sie, wird die Ärztelandschaft in 15 Jahren aussehen?

Entscheidend wird sein, wie sich der Ärztemangel in den kommenden Jahren entwickelt. Hier spielen demografische Entwicklungen, aber auch Ausbildungs- und Arbeitssituation von Ärzten eine Rolle. Generell sollten Österreichs Medizinuniversitäten zumindest so viele Ärzte pro Jahrgang ausbilden, wie in Pension oder ins Ausland gehen oder einen anderen als den ärztlichen Beruf wählen. Den Bedarf richtig anzulegen ist dabei sicher nicht einfach. Aber es ist klar: Wenn ich heute zu wenige Studenten ausbilde, habe ich in sechs Jahren nicht genug Ärzte. An Bewerbern für das Medizinstudium mangelt es jedenfalls nicht, so müssen jährlich 9 von 10 abgelehnt werden. Schaut man sich aktuelle epidemiologische Daten aus dem Bereich Innere Medizin an, fällt auf, dass bei den niedergelassenen Internisten 60 % über 50 Jahre alt sind (in den Spitälern sind dies 25 %). Im niedergelassenen Bereich erwartet uns also in den kommenden 10 bis 15 Jahren eine größere Pensionierungswelle, auf die wir uns vorbereiten müssen, damit diese Ordinationen gut nachbesetzt werden können. Wenn sich weiterhin einer von drei angehenden Internisten für die Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin entscheidet, können wir diese Herausforderung meistern, da bin ich optimistisch. Was die Abwanderung hierzulande ausgebildeter Ärzte u. a. ins deutschsprachige Ausland betrifft, gilt es die Gründe dafür herauszufinden: Arbeitssituation? Arbeitszeitmodelle? Bezahlung? Attraktivität anderer Länder? Eine gewisse Fluktuation, ein internationaler Austausch sind per se nichts Schlechtes, sondern durchaus horizonterweiternd. Nimmt es überhand, haben wir aber ein Problem.